Mittwoch, 22. Oktober 2008

'Riesige Zockerei' mit VW-Aktien dürfte ihr Ende gefunden haben

News - 22.10.08 21:03

HINTERGRUND: 'Riesige Zockerei' mit VW-Aktien dürfte ihr Ende gefunden haben

FRANKFURT (dpa-AFX) - Der unglaubliche Höhenflug der VW-Aktie scheint vorbei. Eine laut Händlern 'riesige Zockerei' mit den Papieren des Wolfsburger Autobauers dürfte ihr Ende gefunden und so manchen Spekulanten am Finanzmarkt in den Ruin getrieben haben. Nach dem fundamental völlig unbegründeten Aufstieg von Volkswagen zum teuersten Autokonzern der Welt, der durch Finanzmarktwetten infolge des Einstiegs von Nobelsportwagenhersteller Porsche ausgelöst worden war, geht es nun wieder steil abwärts mit der Bewertung. 'In Richtung Normalität', wie ein Frankfurter Händler es ausdrückt.

Thomas Nagel, technischer Analyst bei der Investmentbank equinet, spricht von einem 'Kollaps' der im deutschen Leitindex DAX notierten Stammaktie von VW, wenn er sich deren knapp 40-prozentigen Sturzflug in den letzten drei Handelstagen bis Dienstag ansieht. Und selbst ungeachtet kleinerer Anstiege des Kurses an schwachen Börsentagen wie an diesem Mittwoch mit 0,10 Prozent auf 243,00 Euro dürfte es in der Summe weiter kräftig abwärts gehen. In nächster Zeit sei ein Einbruch in Richtung 193,60 Euro möglich, so seine Prognose. Der Frankfurter Händler konkretisiert, warum der Titel über kurz oder lang in jedem Fall deutlich weiter fallen wird: 'Fundamental dürfte die Aktie eher bei etwa 70 Euro fair bewertet sein.'

Doch was genau hat sich eigentlich ereignet, dass die VW-Aktie mitten in den heftigsten Turbulenzen der Finanzmarktkrise, als alle anderen Aktien steil auf Talfahrt gingen, in schwindelerregende Höhen stieg? Und warum fällt sie nun, da der Markt sich zu erholen scheint, wieder? In der Finanzcommunity in Frankfurt ist darüber viel spekuliert worden, denn Genaues weiß angeblich niemand. 'Alles sind Vermutungen und Spekulationen', betont der Frankfurter Händler, doch die Börsianer teilen alle in etwa dieselben Ansichten. 'Auffällig ist, dass mit dem kleinen Verfall am Derivatemarkt am vergangenen Freitag die Aktie massiv zurückgekommen ist', stellt der Händler fest und verweist damit als Ursache für die Kursexplosion auf den Terminmarkt. Ende vergangener Woche war unter anderem Verfallstermin für Optionen auf Aktien gewesen. 'Das legt den Schluss nahe, dass zuvor eine riesige Zockerei gelaufen ist.'

'REGELRECHTES BLUTBAD'

Das Rekordhoch der Stamm-Aktie am 7. Oktober jedenfalls, als sie um 55 Prozent hochschnellte und zeitweise 452 Euro wert war, wird von keinem Händler als das bezeichnet, wonach es für Finanzmarkt-Laien aussehen mag: als Grund zum Jubeln für die Anleger. 'An diesem Tag, und sicher nicht nur an diesem, hat es ein regelrechtes Blutbad in VW innerhalb der Finanzcommunity gegeben', sagte ein anderer Börsianer. Und auch er hebt hervor: Das eigentliche Geschehen spielte sich weniger am Aktienmarkt als am Derivatemarkt ab.

Dort wurden, vermuten die Händler, in großem Umfang Wetten auf VW abgeschlossen: ausgelöst durch die angekündigten Übernahmeaktivität der Stuttgarter, die allerdings nur an den stimmberechtigten Stammaktien und nicht an den Vorzugsaktien von VW interessiert sind. Viele Marktteilnehmer begannen seit Bekanntwerden des Porsche-Interesses im Jahr 2005/06 auf steigende VW-Kurse zu setzen, die mit Übernahmevorhaben in der Regel stets einhergehen. Mit der Zeit positionierten sich dann aber wohl auch vermehrt Marktteilnehmer, die die Grenze des Kursanstiegs als erreicht ansahen und wieder Kursrückgänge erwarteten. Eine solche Strategie, die insbesondere von Hedgefonds gefahren wird, erscheint logisch. Doch die Rechnung ging dieses Mal nicht auf.

'Da waren vor der Kursrally wohl einige in Optionen unterwegs gewesen und hatten ungedeckte Short-Calls auf VW-Stämme', sagte der Frankfurter Händler. Wer ungedeckte Short-Calls besitzt, der wettet auf fallende Kurse bei einer Aktie und verkauft daher diese zu einem bestimmten Termin in der Zukunft an einen anderen Marktteilnehmer, ohne das Papiere im Depot zu haben. Der andere Marktteilnehmer (der Käufer) hofft zugleich auf steigende Kurse. Auf Verlangen des Käufers ist der Verkäufer zur Lieferung der Aktie verpflichtet. Sollte also das Papier entgegen den Erwartungen des Verkäufers steigen, und der Verkäufer besitzt es nicht, muss er es über den Markt kaufen, egal zu welchem Preis.

FINANZMARKTKRISE UND AUSGEDÜNNTER MARKT

'Und genauso so etwas in dieser Art dürfte passiert sein', sagte der Frankfurter Händler und verwies dabei auf zwei zusätzliche Probleme, die aufgetaucht waren: Die ausufernde Finanzmarktkrise sorgte für starke Verunsicherung sämtlicher Marktteilnehmer und extremes Misstrauen am Markt. Möglicherweise, so vermuten Börsianer, wollten Investoren daher ihre verliehenen VW-Aktien wieder zurückhaben und lösten so eine Lawine aus. Zugleich kam hinzu, dass es mit Blick auf VW 'am freien Markt so gut wie keine Stücke gibt, da durch die Übernahmeaktivität von Porsche der Markt sehr, sehr ausgedünnt ist', so der Händler.

Die Aktie stieg und stieg weiter und erwischte so manchen Hedgefonds auf dem falschen Fuß: Viele mussten ihre Wetten auf einen fallenden VW-Kurs aufgeben und das Papier viel teurer als erhofft einkaufen. Laut Börsianern hat sich wohl auch die Investmentbank Merrill Lynch verspekuliert und musste ebenfalls VW-Titel kaufen - was den Kurs weiter trieb. Damit nicht genug: die Lehman-Pleite sorgte für den nächsten Kauf-Schub - denn diese Bank war in Wettgeschäften auf sinkende Kurse (Short Geschäfte) sehr aktiv. 'Wer etwa Geschäfte gegen Lehman offen hatte und dann Lehman infolge der Pleite nicht mehr zahlen und liefern konnte, musste sehen, wie er die Stücke selbst am Markt zurückkaufen konnte, um die Forderungen der Gegenpartei zu bedienen; ohne Rücksicht auf die Kosten', erklärt ein Aktienhändler einer deutschen Großbank.

'Da wurde massiv zwangsliquidiert', schätzt auch ein Investmentmanager. 'Da sind so genannte Margin Calls erfolgt, und die dürfen nicht warten, sondern müssen sofort mit 'echtem' Geld gedeckt werden.' Was sich hinter dieser trockenen Börsenformulierung versteckt, ist der Alptraum eines jeden Marktteilnehmers: Seine Geschäfte haben sich zu diesem Zeitpunkt derart zu seinen Ungunsten entwickeln, dass sein Konto, auf dem finanzielle Sicherheiten für seine Termingeschäfte hinterlegt sind, unter eine bestimmte Schwelle fällt. Dann erreicht den Marktteilnehmer ein Anruf und er wird aufgefordert, das fehlende Kapital nachzuschießen. Kann er das nicht, werden seine Positionen sofort zu aktuellen Preisen am Markt geschlossen. Kann er nicht mehr zahlen, dann bedeutet ein solcher Margin Call für den Marktteilnehmer als letzte Konsequenz 'Gerichtsvollzieher und Zwangsvollstreckung' in einem, wie einer der Börsianer es ausdrückt. 'Was bei VW passiert ist, das könnte den einen oder anderen sogar die Existenz gekostet haben.'/ck/sk/zb --- Von Claudia Kahlmeier, dpa-AFX ---

Quelle: dpa-AFX

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